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Rückenfit durch den Alltag: Was wirklich hilft

WISSEN & GESUNDHEIT

Sportwissenschaftler Laurence Wacker räumt mit alten Vorstellungen auf und erklärt, wie wir gut in Bewegung bleiben.

Rückenschmerzen sind heute leider immer noch eine Volkskrankheit. Fast jede*r leidet mindestens einmal im Leben an Schmerzen im Rücken – sie sind der zweithäufigste Grund, den Hausarzt oder die Hausärztin aufzusuchen. Wer das vermeiden will, versucht, sich im Alltag rückenschonend zu verhalten. Doch was bedeutet das eigentlich? Stimmen die Empfehlungen noch, die wir im Kopf haben? Und was empfehlen Therapeut*innen ihren Patient*innen?

Das haben wir Laurence Wacker gefragt. Der 30-Jährige Sportwissenschaftler hat seine Abschlussarbeit zum Thema Rückenschmerzen geschrieben und arbeitet seit über vier Jahren als Therapeut bei Caspar.

Herr Wacker, wenn ich „rückenschonendes Verhalten“ suche, lese ich oft: „Rücken immer gerade halten.“ Stimmt das noch?

Nein, das ist überholt. Diese Empfehlung stammt aus der Rückenschule älterer Tage. Damals hieß es tatsächlich: Rücken gerade halten, bloß nicht beugen oder rotieren. Aber unsere Wirbelsäule ist kein starrer Knochen, sondern ein bewegliches, dreidimensionales System – und sie sollte auch in alle Richtungen bewegt werden. Das gehört zur ganz normalen Funktion. Eine Ausnahme davon besteht natürlich in den ersten Wochen nach speziellen Wirbelsäulenoperationen.

Was empfehlen Sie stattdessen?

Vielfältige Bewegung im Alltag – und gezieltes Krafttraining. Das allein hilft dem Rücken schon sehr. Häufig geht es auch um das „richtige” Sitzen. Hier gilt eher: Die beste Haltung ist die nächste. Keine Haltung ist so gut, dass sie längere Zeit eingenommen werden sollte.

Was passiert, wenn ich mich dauerhaft „gerade“ verhalte?

Zunächst nichts. Aber mit der Zeit kann es zu Abbauprozessen kommen. Zum Beispiel im Faserring der Bandscheibe: Die kollagenen Fasern darin verlaufen spiralförmig. Wenn ich mich nie drehe, werden diese Strukturen nicht mehr gebraucht – und abgebaut. Und irgendwann kommt die Drehbewegung doch, etwa wenn ich spontan einen Gegenstand auffangen will. Wenn der Rücken das nicht gewohnt ist, steigt das Risiko für Verletzungen.

Wann haben sich die Empfehlungen zum rückenschonenden Verhalten geändert?

Schon vor einiger Zeit. Die neue Rückenschule der großen deutschen Verbände wird seit 2006 gelehrt. Aber es dauert oft 15 bis 20 Jahre, bis solche Erkenntnisse flächendeckend im Alltag angekommen sind. Auch bei Caspar achten wir darauf, dass unsere Therapiepläne sich an den aktuellen wissenschaftlichen Standards orientieren. Unsere Inhalte werden regelmäßig überprüft und angepasst.

Welche Empfehlungen haben sich außerdem verändert?

Es gibt viele hartnäckige Mythen. Einer davon ist, dass Rückenschmerzen immer etwas Ernstes bedeuten. Doch die meisten Menschen haben irgendwann Rückenschmerzen – oft verschwinden sie von allein oder mit gezielter Bewegung. Viele sind enttäuscht, wenn sie nach einem Arztbesuch eine unspezifische Diagnose wie „LWS-Syndrom“ erhalten. Dabei ist das meist ein gutes Zeichen: Es liegt nichts Ernstes vor. Regelmäßige Bewegung, gezieltes funktionelles Krafttraining und ein generell gesunder Lebensstil – das ist oft der beste Weg zur Besserung.

Was möchten Sie den Lesenden noch mitgeben?

Es ist einfach ein Irrglaube, dass durch Belastung unsere Strukturen im Rücken abnutzen würden. Ganz im Gegenteil: Belastbarkeit kommt von (adäquater) Belastung. Hierzu gibt es auch eine sehr spannende Untersuchung, die in meinen Vorträgen bei Patientinnen und Patienten oft echte Aha-Momente auslöst. In dieser wird nämlich das Phänomen beschrieben, dass bei Astronauten knapp 80 % der Rückkehrer aus dem All mit Rückenschmerzen zu kämpfen haben und ein deutlich erhöhtes Risiko für Bandscheibenvorfälle besteht. Die Hauptursache wird darin vermutet, dass mit Wegfall der gewohnten Schwerkraft sämtliche Strukturen und vor allem die stabilisierende Muskulatur rund um die Wirbelsäule der ansonsten „topfitten“ Astronauten abgebaut werden – da ja eben sämtliche Belastungsreize fehlen.

Was wir daraus lernen:

Wir sollten unseren Rücken nicht „in Watte packen“. Sondern vielfältig bewegen, die persönliche Belastungsgrenze herausfinden und behutsam erweitern.

USE IT OR LOSE IT

Wenn wir eine Bewegung(-srichtung) nicht regelmäßig trainieren, baut unser Körper das entsprechende Gewebe ab. Deswegen: Vielfältig in alle Richtungen bewegen.

FORM FOLLOWS FUNCTION

Unsere Muskelzellen erneuern sich ständig – Dabei wird der Körper so umgebaut, wie er regelmäßig genutzt wird. Wir können unseren Körper stärken, indem wir regelmäßig trainieren.

DIE BESTE HALTUNG IST DIE NÄCHSTE

Es ist wichtig, regelmäßig die Position zu wechseln. Mal lümmeln, mal gerade sitzen, mal im Schneidersitz, mal stehen. Also: Häufig mal die Position wechseln